Ahmad Omeirat
Posted Date :04.DEZ.2012 ...
Keine Pässe, viele Probleme und wenig Rechte: Tausende Flüchtlinge aus
dem Libanon und ihre Kinder leben seit Jahrzehnten in Deutschland. Sie
sind nur geduldet. Duldung heißt, keine gesetzliche Grundlage zu haben,
hier sein zu dürfen. Allein in Essen leben 6.000 Menschen libanesischer
Herkunft, 1.500 von ihnen nach dem Ausländerrecht illegal.
By Ahmad Omeirat
Stellungnahme von Ahmad Omeirat Essen November 2012
Geduldet - nicht gewollt.
Mittlerweile leben Menschen in der zweiten, dritten, sogar
vierten Generation in Deutschland, die geduldet sind. Allein in Essen
sind es ca. 1500 Menschen unter 25 Jahren - viele von Ihnen sind in
dieser Stadt geboren. Wenn das nicht der Fall ist, sind sie mit ihren
Eltern hierher gekommen, als sie noch Kleinkinder waren. Unbemerkt von
der Öffentlichkeit entwickelte sich die Duldungspraxis zu einer Praxis
der sogenannten Kettenduldung: das bedeutet, dass die Betroffenen
jeweils alle drei Monate zum Ausländeramt müssen, um eine Verlängerung
ihrer Duldung zu beantragen. Unglaublich, aber wahr: auf der
Duldungsbescheinigung steht: "Aussetzung der Abschiebung (Duldung) |
Kein Aufenthaltstitel! Der Inhaber ist ausreisepflichtig!" - das liest
ein hier geborener junger Mensch alle drei Monate auf seiner Duldung.
Diese Duldung bedeutet für junge Menschen in vielerlei Hinsicht
Einschränkungen: ob es der Führerschein ist, der ihnen verweigert wird
oder aber die Residenzpflicht, die bedeutet, dass die Grenzen des
Bundeslandes, in dem sie leben, ohne Antrag bei der Ausländerbehörde
nicht überschritten werden dürfen. Oftmals ist die Konsequenz aus
letzterem der Ausschluss von Familienfeiern oder auch Beerdigungen in
der nahen Verwandtschaft, wenn diese in einem anderen Bundesland lebt.
Letztlich fördert dieser Zustand bei vielen dieser jungen Menschen die
Perspektivlosigkeit und führt häufig auch in die soziale Isolation.
Manche sind ob dieser Situation regelrecht verzweifelt und manche
entwickeln mit der Zeit eine fatalistische Haltung nach der Idee "Wenn
ich hier sowieso keine Chance auf ein normales Leben erhalte, ist mir
alles Andere auch egal". Viele, die diese Haltung haben, landen im
kriminellen Milieu.
Solcher Art entwurzelt werden diese jungen Menschen leichte "Beute" für
radikale Ideologien und entfernen sich somit immer mehr aus der Mitte
dieser Gesellschaft. Diese Spirale der Entfremdung zu beenden, wird
leider von keiner Seite aus ernsthaft versucht - im Grunde überlässt
man diese jungen Menschen sich selbst. Das ist aber das Verspielen
einer letzten Chance, die Folgen dieser verfehlten (Duldungs-)Politik
zu mindern.
Die Ausländerbehörde verwaltet den Kreis der Betroffenen - das ist
alles. Unterstützung, die in irgendeiner Form zur Integration dieser
Menschen in die Gesellschaft beitragen könnte, wird hier nicht gewährt.
Das ist natürlich nicht die Schuld einzelner Mitarbeiter dort, sondern
die Politik gibt diese Leitlinien vor, die oftmals (auch wegen dieser
Vorgaben) frustrierte Mitarbeiter umsetzen müssen.
Seit frühestem Kindesalter in der BRD lebend, haben sich diese jungen
Menschen hier integriert, so dass grundsätzlich das Ziel eines
rechtmäßigen Aufenthalts erreicht werden kann, sei es über
Altfallregelung, § 25 Abs. 5 AufenthG (faktischer Inländer), § 18a
AufenthG oder § 23a AufenthG aufgrund einer Empfehlung der
Härtefallkommission NRW. Die Ausländerbehörde aber „kriminalisiert“ die
zweite und dritte Generation und überträgt den Vorwurf der mangelnden
Passbeschaffung der ersten Generation auf die zweite und dritte
Generation - das ist eine Form von „Sippenhaft“.
Das Problem aber ist, dass die für die Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis erforderliche Passbeschaffung in der Regel nicht
möglich ist. Vielfach ist trotz zahlreicher Versuche und Vorsprachen
bei der libanesischen, syrischen Botschaft oder dem Türkischen
Generalkonsulat, keine Nachtregistrierung wegen Geburt in Deutschland
und/oder mangelnder Mithilfe der Eltern möglich.
Die Eltern, gefangen in einer Art „Zwickmühle“, bemüht und in der
Hoffnung, wenigstens für die Kinder-Generation ein Leben ohne Flucht
ohne Diskriminierung und vor allem in (sozialem) Frieden zu erreichen,
vererben Ihren Kindern - nicht absichtlich - die Staatenlosigkeit und
damit keine Bürgerrechte und damit auch keinen sozialen oder
gesellschaftlichen Rückhalt! Das alles findet statt in der
Bundesrepublik Deutschland im Namen des Ausländergesetzes.
So werden seit Jahren in Ausländerämtern in Deutschland Eltern
aufgefordert, Pässe zu beschaffen und somit Ihrer sogenannte Mitwirkung
nachzugehen. Viele Eltern haben das Vertrauen in die staatliche
Behörden verloren und befürchten für Sie das schlimmste: die
„Familientrennung“. Diese anhaltende Identitätsdebatte hat mit den
Jahren Ihre Spuren hinterlassen, Familienfrieden zerstört!
Das Gequatsche und Gehölze, ebenso wie das Schweigen, wo Diskussion
geboten wäre, ist kaum zu ertragen. Der deutschen Gesellschaft ist es
ebenfalls nicht zuträglich. Millionen Menschen sind von dem Thema
Integration vom Kindergarten bis zum Seniorenheim betroffen und in
manchen Ballungsräumen besonders, da lässt es sich überhaupt nicht mehr
verantworten, zu schweigen oder aber eine einseitige Diskussion zu
führen. Es geht nicht gegeneinander, sondern es geht nur miteinander.
Aber ein Miteinander kann nur entstehen, wenn Emotionen, Interessen,
Potenzen und Engagement von allen Seiten, die Integration wollen, in
Austausch miteinander treten, frei, fair und friedlich.
Die Bilder die zur besten deutschen Sendezeit über die Betroffenen
gezeigt werden, sind die Bilder von Jugendgangs, Familienbanden,
Kriminalität und alles andere Schlechte, also das, was Menschen nicht
gerade anzieht sondern, im Gegenteil, abschreckt. Rücksichtslos und mit
Halbwahrheiten werden kurz vor einer Landtags- oder Bundestagswahl
strenge Innenminister/Senatoren oder unsensible Polizeipräsidenten auf
die Öffentlichkeit losgelassen, damit Sie Ihre, oft durch die
„Gerüchteküche“ kursierenden, Informationen, teilweise von dubiosen
Informanten, in Erkenntnisse umwandeln und damit die Öffentlichkeit
manipulieren. So wird mit sehr häufig vorkommenden Familiennamen um sich
geworfen und man nimmt damit sehr häufig friedlich lebenden Menschen
mit in Sippenhaft. Beispiel:
Eine Frau aus Norddeutschland erzählt eine Geschichte, die sie sehr
verunsichert hat: am Vorabend schaute Sie Fernsehen mit Ihrer Familie -
ein Bericht über Libanesen. Ihr Familienname kam mehrmals in diesen
Bericht vor. Es war kein positiver Bericht, erzählt sie und es ging so
weit, dass sie selber Angst bekommen hat angesichts der dort
geschilderten kriminellen Machenschaften. Am meisten darüber, dass ihr
Familienname mit so schlimmen Dingen in Verbindung gebracht wird. Die
ganze Nacht ist sie sie unruhig gewesen und am nächsten Tag brachte Sie
Ihre Tochter zum Kindergarten. Als sie die Jacke ihrer Tochter
aufhängen wollte, bemerkte Sie, das dass Namensschild Ihrer Tochter
nicht mehr an dem entsprechenden Platzt hängt. Die Lehrerin kam in
Erklärungsnot, aber erst aufgrund einer Intervention ihres Mannes ist
am folgenden Tag das Namensschild mit dem Familiennamen wieder
angebracht worden. Besonders schlimm für sie war, dass sie bis zu
diesem Zeitpunkt ein weitgehend "normales", integriertes Leben in ihrer
Nachbarschaft geführt haben und jetzt auf einmal sie und ihre Familie
unter Generalverdacht stehen.
In dem letzten vier Jahren gibt es bei den öffentlich-rechtlichen
Radio- und Fernsehanstalten Tendenzen, über die prekäre Lage der
Familien zu berichten und sich dem Thema sachlich anzunehmen. Sie zeigen
das der größte Teil der Familien positiv in Deutschland angekommen ist
–integriert und sozialisiert durch Schulbildung und Ausbildung und
natürlich durch eine sichere Existenz (deutsche Staatsbürgerschaft).
Erfreulich ist auch, dass der Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft
jeden Tag besser wird. In den Letzten Jahren gab es viele Bewegungen
auch aus dem Bereich der Betroffenen, die das Thema Integration auf die
Tagesordnung geschrieben haben. Die neuen Vorbilder für diese junge
Generation sind diejenigen, die es geschafft haben, sich in diese
Gesellschaft zu integrieren und somit auch eine Chance dazu hatten, sich
zu etablieren. Es ist modern geworden, sich zu bilden.
Es sollte einfach ein Schub in eine ganz andere Richtung geben, wenn
doch erkennbar ist, dass die meisten geduldeten Jugendlichen dieser
zweiten, dritten Generation deutsch spricht und gleichzeitig
international denkt. Das ist doch eine Chance nicht nur für die
geduldeten Jugendlichen, sondern auch für die deutsche Gesellschaft
insgesamt. Voraussetzung für eine positive Entwicklung ist allerdings,
dass diese Kettenduldungen ein Ende haben und der Kreis der Betroffenen
endlich Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt erhalten (der Ihnen
beispielsweise oftmals verwehrt wird durch die fehlende Möglichkeit,
einen Führerschein machen zu dürfen). Erst auf gleicher Augenhöhe kann
man vernünftig aufeinander zugehen - und das setzt ein Ende der
Diskriminierung der Geduldeten voraus.
Ahmad Omeirat